Rezension von Prof. Salvatore Lavecchia

Die Zentralität des Ich als geistiges Wesen in der Entwicklung der Menschheit ist in unsrer Gegenwart bestimmt kein “modisches" Thema. Um so mutiger und anregender ist dieses Buch. Hier wird nämlich konsequent versucht, im Horizont der Anthroposophie die Aufmerksamkeit auf diese Zentralität sowie auf jene Kräfte zu orientieren, die sie verhindern möchten. Diese Kräfte sind dieselben, die einerseits die Entwicklung der aus Deutschland und Mitteleuropa ausgehenden Ich-Kultur hinderten, andererseits das gegenwärtige Projekt einer zentralistischen Europäischen Union als möglichst definitiven Schlag gegen die Möglichkeit einer Ich-Kultur forcieren möchten. Das Buch "Zwischen Himmel und Erde: die Finanzkrise. Unsere Zeit in ihren kulturhistorischen Hintergründen" zeigt überzeugenderweise, wie diese Kräfte sich im Schicksal Kaspar Hausers, im Nationalsozialismus und in den heutigen Dynamiken der Makrofinanz sowie der EU-Politik offenbaren. Ihr Ziel liegt darin, den Menschen zu einem kollektivistischen, Ich-losen Bewusstseinszustand regredieren zu lassen, sei es durch unzeitgemäße Verbindungen zu Blut und Boden, sei es durch wirtschaftliche Zwänge. Es handelt sich, anders gesagt, darum, eine Ich-Kultur durch eine regressive "Atman-Kultur" zu ersetzen, die das Individuum zur Wesenslosigkeit zwingen, das sich in Zustände "zurückentwickeln" sollte, die eine unberechtigte Wiederbelebung der lemurischen bzw. atlantischen Bewusstseinsform darstellen würden. 

Dieses Buch ist eine Fundgrube an Vertiefungen und Beobachtungen, die den Lesenden fruchtbare Anregungen für einen autonomen Weg der weiteren Erforschung schenken. Hier seien lediglich zwei Beispiele erwähnt: 1) Die Hervorhebung der Behandlungen, die Adolf Hitler in Pasewalk verabreicht wurden, und die, ausgehend von einer auf das Ich zentrierten Menschenkunde, als kontrainitiatorische "Präparierung" für Hitlers spätere Aufgaben interpretiert werden. 2) Der Hinweis auf die Gegend um Ljubljana als mögliches Zentrum einer alternativen, positiven Entwicklung für die politischen Dynamiken Europas. Diesen Hinweis würde ich auf die ganze Gegend erweitern, die früher zum Patriarchat von Aquileia gehörte, dessen Konfiguration keimhaft auf ein fruchtbares Zusammenklingen von griechisch-römischer, germanischer und slawischer Kultur hindeutet. Es ist zu hoffen, dass der Horizont, der sich durch diesen Hinweis öffnet, bald eine tiefere und breitere Wahrnehmung finden kann. So würde dieses Buch dazu verhelfen, eine der vielen Aufgaben zu erfüllen, auf die es hindeutet: Den Bau wirklich neuer Wege für Europas Schicksal im Lichte des Ich.

 

                                                                                (Prof. Salvatore Lavecchia,

Universität Udine)

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