Rezension von Markus Sieber

Zwischen Erlösung und Beunruhigung

Ein halbes Jahr, nachdem ich „Zwischen Himmel und Erde: die Finanzkrise. Unsere Zeit in ihren kulturhistorischen Hintergründen“ von José Martinez und Mitarbeitern gelesen habe, beschäftigt mich dieses Werk immer noch sehr. Warum?

Dieser Abriss der Kulturgeschichte der letzten etwa 9000 Jahre – mit einzelnen Blicken in noch frühere Zeiten – ist nicht auf Vollständigkeit angelegt. Verschiedene Kulturen fehlen ganz. Die Kapitel, von verschiedenen Autoren und Autorinnen verfasst, sind historisch, schriftstellerisch und auch in ihren thematischen Gewichtungen von unterschiedlicher Qualität. Weitere Einwände können dieser nicht-fachwissenschaftlichen Arbeit gegenüber gemacht werden. Damit ist das gesagt.

Was aber jedes Kapitel des Werks zu etwas aufregend Neuem macht, das ist der erlebbare Wille, das Beste zu geben, um in Dialog treten und bleiben zu können mit einer realen geistigen Geschichtsforschung. Dieser Dialog führte zu dieser Arbeit, er prägt ihren Aufbau und ihren inneren Duktus seine Ergebnisse bilden ihren Inhalt. Das ist ausserordentlich! Im einen Kapitel tritt dieser Dialog als innige, sich entwickelnde Verbindung auf, in einem anderen in der Form weniger, fast isolierter Einschübe. Darin ahnt man die anspruchsvolle Zusammenarbeit: jeweils individuell unterschiedlich von José Martinez, der die geistige Forschung unternommen hat, mit jedem einzelnen Autor – und im Ganzen der Arbeitsgruppe.

Faszinierend ist dabei, dass die Ergebnisse der geistigen Forschung quantitativ in jedem Fall deutlich weniger Raum einnehmen, dass sie aber mit wenigen, konsequent durchgehaltenen Gesichtspunkten die Kraft haben, die Substanz der historischen Essays so zu durchdringen, dass diese verwandelt, transparent wird. Dies ist auch dem Bemühen der anderen Autoren und Autorinnen zu danken, die Tendenzen der Entwicklung bis in bildhaft und schematisch verdichtete Darstellungen hinein zusammenzuziehen.

Gemeinsam ist etwas Neues entstanden: ein Vorstoss nicht „nur“ zu politisch-finanziellen Hintergrundmächten, welche das historische Geschehen wesentlich (mit-) steuern, in den letzten 150 Jahren immer mehr über das Finanzwesen. Auf solche Mächte wird auch verwiesen, dies aber so, dass sie selbst wiederum erkennbar werden als Ausdruck und Instrument fundamentaler Untergrundmächte geistiger Natur, deren Existenz und Wirken über Jahrtausende – Geist stirbt nicht! – von der entsprechenden Forschung beobachtet werden kann und hier durch eine Reihe punktueller Befunde aufgewiesen wird. (Die Begriffe Hinter- und Untergrundmächte erlaube ich mir zu verwenden, sie sind nicht dem Buch entnommen.)

Hitler, um das Beispiel eines besonders bedeutsamen Einschlags- oder Durchgriffpunkts der genannten Mächte zu nehmen, erscheint hier nicht „nur“ als Täter, sondern auch als Opfer. Aber Opfer nicht einfach jener Senfgasvergiftung, die den österreichischen Gefreiten in seinem bayerischen Regiment zum Schluss des 1. Weltkriegs im belgischen Wervik (in der Region von Dünkirchen) ereilte. Von dieser Vergiftung weiss man ja schon seit geraumer Zeit, dass sie, nach ihrer Behandlung in einem Kriegslazarett im vorpommerischen Pasewalk (an der polnischen Grenze fast 1000 km vom Ort der Verletzung entfernt), bei Hitler überaus starke Persönlichkeitsveränderungen hinterliess: er war „ein anderer“ geworden. Martinez und sein Team sind diesem Geschehen vertieft nachgegangen. Einerseits in den Dokumenten und vor Ort (Pasewalk), andererseits eben mittels geistiger Forschung. Ergebnis ist die Erkenntnis, dass Hitler, schon vorher kein Ich-Held, in seiner Versehrtheit zusätzlich eine weitestgehende Ausräumung seines geistig-seelischen Wesens erfuhr durch bestimmte und offensichtlich gezielte Machenschaften im Grenzfeld von klinischer Psychiatrie, schwarzer Magie und raffinierter Folter. (Man spürt, dass in diesen Abschnitten nicht alles gesagt wird, und kann das verstehen.) In diesem historisch entscheidenden Moment stand nun ein menschliches Gefäss zur Verfügung, dessen sich die politischen Hintergrundmächte, wie geschichtswissenschaftlich erwiesen, im Kern aber vor allem die geistigen Untergrundmächte bedienen konnten – mit den bekannten katastrophalen Folgen bis weit in unsere Zukunft hinein.

Hitler ist ein Beispiel, wie in dem Werk von Martinez und Team die allgemeine Symptomatologie und Diagnostik verschiedentlich auch personell fokussiert wird. Mit Blick auf geschichtliche Wirkungen wird dabei notwendigerweise auch auf Aspekte der Wiederverkörperung Bezug genommen. Ein anderes, inhaltlich sehr naheliegendes Beispiel ist Friedrich Nietzsche. Bei ihm kommt die Wiederverkörperungsperspektive – vielleicht exemplarisch – ausführlich zur Sprache.

Nichts bleibt ohne Wirkung und Folgen, und beides steigert sich und wird umso problematischer, je länger ein bestimmter Impuls von dem ihm gemässen Entwicklungskontext abrückt. Die Spaltung der kulturtragenden Völker und Ströme in einer fernen, urindischen Epoche bot bestimmten geistigen Untergrundmächten im (später daraus entstehenden) Brahmanismus ein Gefäss zur Manifestation und Einflussnahme. Diese Einflussnahme prägt seither unsere Bewusstseins- und Kulturentwicklung mit, um (vorläufig) zu kulminieren im deutlich brahmanistisch-dekadent durchprägten „Doppelstaat“ des Nationalsozialismus, aber auch – vorher, parallel und bis heute – im sozial immer dominanteren und pathologischeren Finanzwesen. Mit diesem Befund kulminiert ausführlich auch dieses Pionierwerk. Manches, was in ihm früher angelegt worden war, erhält nun seine klärende Funktion.

Von allen Beteiligten muss diese grosse Arbeit und Veröffentlichung nicht zuletzt auch viel Mut erfordert haben. Von diesem Mut, dieser selbstlosen Hingabe an die Sache und dem bedingungslosen Ja zu Phänomenen, egal wo und wie sie auftreten, geht in meinen Augen ein wichtiger und fälliger Impuls zur Erneuerung und Weiterentwicklung der Wissenschaft aus. Ihn möchte man bei Fachwissenschaftern häufiger finden. Damit ist auch das gesagt.

Dieses Werk für sich allein stehen zu lassen, erscheint mir eigentlich nicht möglich. Es hat, wie erwähnt, auch Lücken, und in diese hinein richten sich unzählige einzelne, aber auch grosse Fragen. Darunter auch zeitbedingt heikle. Zu diesen gehört vielleicht weniger die nach dem Finanzplatz Schweiz, der im Buch nur in Form der Geschichte der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zur Behandlung kommt, leider aber ohne Einbezug der geistigen Hintergründe zur Schweiz - als Schweizer wäre ich an ihnen interessiert gewesen. Anders die aktuelle Rolle des Judentums im Finanzwesen. Sie ist in unzähligen (wirtschafts-) historischen Arbeiten behandelt und hergeleitet worden – namentlich auch zur Abwehr primitiv-rassistischer Verknüpfungen –, im vorliegenden Werk finden sich dazu indes nur einzelne Andeutungen. Wie stellt sich diese Rolle aber dar, wenn die erwähnten geistigen Untergrundmächte mitberücksichtigt werden? Diese Frage erscheint immer brennender, je mehr man sie sich in ihrem relevanten Kontext vergegenwärtigt: Judentum, Christus-Erscheinen, Finanzwesen, Nationalsozialismus, Holocaust, – und dabei immer die Kategorie der Schuld mitdenkt, nicht als Verschulden und Anklage, sondern als seelisch, wirtschaftlich, sozial, historisch zentral prägendes Phänomen.

 

Es ist ganz klar, dass konkrete Aussagen dazu riskieren, von vornherein grob missverstanden und angegriffen zu werden. Und doch muss und wird sich dafür ein Weg finden lassen. In Bezug auf verschiedene Phänomene unserer Zeit und ihre Wurzeln leben wir breit in hypnoseähnlichen Zuständen. Zur Qualität und zum Neuen dieses Werks gehört es aber, dass es durch vertiefte Erkenntnis zunächst einerseits beunruhigende, vielleicht verstörende Wirkungen hat, andererseits aber auch erlösende. Denn die Wahrheit, ja schon das aufrichtige Streben nach der Wahrheit macht uns frei – uns alle.


                                                                        (Markus Sieber, Rheinau CH)

(Auszüge erschienen in: GEGENWART 4/17)

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